mich fasziniert immer schon das erinnern; daß wir uns erinnern können.
henry miller sagt (in "remember to remember"):
"Sich erinnern ist die Sendung des Menschen auf Erden. Sich ans Erinnern zu erinnern. Alles in Ewigkeit zu kosten, wie einmal in der Zeit...
Erinnerung ist der Talisman des Schlafwandlers auf dem Boden der Ewigkeit."
ich kann mich an so viele vergangene dinge oder erlebnisse erinnern, die jahre zurückliegen, sogar an die zeit als ich 3 jahre alt war, oder noch jünger. ich erinnere mich oft so, als wäre das eben vorhin passiert. ich habe es immer geliebt, mich zu erinnern. habe mir geschichten erzählen lassen, die erinnerungen anderer menschen sind an ihr erlebtes.
oft ist das gefühl überwältigend, daß es keine vergangenheit gibt, daß alles immer präsent ist, und die erinnerung eigentlich nur eine frage der wahrnehmung: ist das sensorium eingeschaltet oder nicht. womit bin ich beschäftigt? wenn ich fasziniert oder abgelenkt von einer konkreten beschäftigung bin, kann dieser sensorische apparat nicht in meinem bewußtsein 'online' sein. lässt man aber dem bewußtsein den raum, sich mit dem sensorium zu verbinden, kann erinnerung im weitesten sinn stattfinden.
zeit ist dann nichts lineares, irreversibles, sondern eben ein kontinuum, eine art phantasie-erinnerungs-raum, in dem reisen unternommen werden können, müssen.
ferromonte - 27. Dez. 2004, 17:44
ein neu gefaßtes ziel kann müßige gedanken spurlos vertreiben - nicht, daß sie später irgendwann nicht wieder zurückkämen, aber für den moment sind sie fort.
draußen, am wasser des donau-altarmes, seh ich an der dünnen eisdecke, wie kalt es in der nacht gewesen ist, und während weiter entfernt laute kinder diese zarte eisdecke zertreten und mit steinen bewerfen, achte ich auf die feinen sonnenstrehlen:
langsam tauen sie das eis; an einigen stellen ist schon die gleichmäßige, spiegelglatte wasserfläche zu sehen. ich sehe die konturen der kristallisationsformen: wie riesige eisblumen oder -blätter bedecken sie das wasser.
während die sonne ihr werk tut, beobachte ich, wie die großen pflanzformen nach und nach den widerstand aufgeben, nur noch die umrisse der kristallstrukturen sichtbar sind, in der minute darauf aber sich schon auflösen, zu wasser werden.
als letzten rest sieht man noch die ränder der ehemaligen eisblumen: dann ist da nur noch wasser.
ferromonte - 25. Dez. 2004, 18:21
ist es, wenn man
das agieren des herrn schüssel sieht. eine innenminsterin, die ein solches interview gibt, bedarf keiner weiteren beachtung.
Aber was qualifiziert mich, was qualifiziert jemanden? Bevor ich im Sozialbereich in Niederösterreich angefangen habe, habe ich auch nichts mit dem Sozialbereich zu tun gehabt. Heute, glaube ich, erzählt mir in ganz Österreich niemand mehr etwas über den Sozialbereich. schüssel ist vollkommen ausgeklinkt, nicht erst seit gestern. er hat jeden bodenbezug verloren. die phrase, die seinen zustand am besten beschreibt, kommt von ihm selbst: "wenn ich das sage, dann ist das so."
ferromonte - 20. Dez. 2004, 8:08
ich bin nun nicht einer, der um jeden preis für den eu-betritt der türkei ist: zu viele dinge liegen da im argen.
aber daß plötzlich gerade
das volk solche dinge entscheiden soll - auch wenn es nur reiner populismus schüssels ist, und ein plumper dazu, wo in der EU so gut wie nichts die wähler eines mitgliedsstaates entscheiden - finde ich einen neuen höhepunkt österreichischer eigentümlichkeit bzw. dummheit.
die meute, die ewige mehrheit der dummen, die sich jede noch so offensichtliche lüge eintrichtern lässt und unverdaut als x für ein u nimmt und wiedergibt, soll in einer so sensiblen frage entscheidungsträger sein? ha! in wien, wo der türke den serben oder kroaten als "tschusch" und "ausländer" auf der strasse beschimpft. in österreich, wo man zum größten teil kein problem mit rassistischen äusserungen nationalratsabgeordneter, landeshauptleuten oder regierungsmitglieder hat, die jedenfalls ohne folgen und kosequenzen bleiben.
aber nein, und da will der westentaschennapoleon schüssel
den demokraten raushängen lassen und das volk entscheiden lassen?
lächerlich.
ferromonte - 18. Dez. 2004, 0:22
es ist wieder die zeit, in der die santa-puppen in selbstmörderischen posen an hauswänden und von balkonen hängen und viele der hier lebenden menschen versuchen, sich gegenseitig mit weihnachtskitsch nach US-art zu übertrumpfen: da gibt es konzentrische kreise und sterne in den fenstern, die auf den ersten blick von einer japanischen leuchtreklame nicht zu unterscheiden sind, blinkend und wuselnd; ganze rentiergespanne samt weihnachtsmann im vorgarten. zipfelbemützte jungmenschengruppen in der innenstadt und auf den adventmärkten: wie launig und fröhlich wir doch sind.
gestern war es spürbar kälter als heute, denke ich mir auf der fahrt zur arbeit, und hier, im 22., liegt ja doch ein wenig schnee: nicht auf den straßen, aber auf gehsteigen, fußwegen, gleiskörpern der tram, rasenflächen.
so manche(r) äußert seine hoffnung auf weiße weihnachten. ich sehe die geometrischen flächen, schneeweiß, die auf den großen straßenkreuzungen von den autoreifen unberührt geblieben sind. rauten, dreiecke, bruchstücke großer ellipsen, spitze und stumpfe winkel. dort könnte man stundenlang stehen, ohne niedergefahren zu werden. ein vogel könnte dort sitzen und den rasenden autos zusehen.
die tage flackern, lichtlos und grau, wiewohl man aus radio und tv weiß: oben auf den bergen scheint die sonne hinter einem wolkenfreien himmel. manchem geht der atem aus, im raschen wechsel von streß und ruhe verwirren sich die hormonhaushalte, die nebennierenrindenhormone sind in den rasch sich ändernden spiegeln meßbar, die spiegel flackern, wie unsere stimmung, und all das erschöpft uns mehr und mehr.
man trifft leute, und legt mehr herzlichkeit in seine worte als gewohnt: ein klammern an die illusion der vertrautheit: wir haben keine zeit für die liebe.
das leben ist kurz, es muß viel erledigt, termine müssen abgehakt werden. ich sage einen zahnarzttermin ab, um eine besprechung noch vor weihnachten stattfinden zu lassen, eine besprechung, an der ich nicht teilnehmen will, weil nichts dabei rauskommt, was ich vorher schon weiß. aber dennoch kommt sie mir gerade recht, wer verzichtet da nicht gerne auf den zahnarzt, wenn er, bekleidet mit pflichterfüllung, auch noch geld sparen kann.
neben mir die frau in der u-bahn: wir stehen im bummvollen waggon, die hände an schlaufen und stangen. erst sehe ich nur die hand, die sich festhält: farbloser lack auf kurzgeschnittenen fingernägeln; die finger, die hand macht einen zarten, aber energischen eindruck. schmales handgelenk, swatchuhrenarmband mit logo, eine unglaublich zarte, weiße haut über dem gelenk, so fein, daß man sie berühren möchte, mit den fingerkuppen drüberstreichen. ich drehe mich und sehe sie an. groß, schlank, mitte dreißig, vielleicht vierzig, braunrote locken, vielleicht gefärbt. glänzende braune augen einer farbmischung, die ich nicht so rasch identifizieren kann, sie strahlen lebendigkeit und energie aus, ungewöhnlich um acht in der u-bahn. ein ring am linken ringfinger, silber oder weißgold, gefasster stein, vielleicht quarz, vielleicht brillant. zwei sichtbare sorgenfalten auf der stirn. sie ist schön, weil sie lebendig ist. ich versuche mir ihr leben vorzustellen, wo sie hinfährt, ihre reisetasche lässt vermutungen und schlüsse zu.
ein freigewordener platz lädt mich zum sitzen, und ich schreibe diese worte, sie ist schon längst ausgestiegen, ich sah nur kurz eine cordhose und eine burgunderfarbene daunenjacke vorbeiwischen ...
ferromonte - 16. Dez. 2004, 22:10