erinnerungen

weihnachtseinkäufe

"schau daß'd gsund bleibst, olles andere is wurscht!" schreit der alte mann dem bim-fahrer durch die glasscheibe zu. dann murmelt er, halblaut und für sich: "meine haberer san olle schon gongan. vor sechs monat da letzte." und bei der vorletzten haltestelle steigt er umständlich aus, am stock schlurft er über den gleiskörper und rettet sich auf den gehsteig.
zu weihnachten werden die menschen emotionaler, sie wollen leben und nicht bloss vegetieren. am schwedenplatz gleich beim ausgang von der u-bahn etwa seh ich einen bettler stehen, der sich kaum auf den beinen halten kann. einen leeren starbucks-pappbecher in der hand wippt er gebuckelt vor und zurück, seine kleider sind zerfetzt und verschmiert, bei einem raschen blick in sein gesicht muss man sich mühe geben, auch nur einen zahn zu finden. eine mondän gekleidete reifere tussi stakst an mir vorbei auf den armen teufel zu, hohe stiefe, blonde föhnlocken, kein klischee fehlt - und wirft ihm ein geldstück in den becher. um alles zu vollenden sagt sie, lauter als nötig: "frohe weihnachten!" zu ihm. was geht in der guten frau vor? ich frage lieber nicht weiter. alles kann man jetzt sehen in wien, alle sind auf den beinen. vom wiener pazi über die bürgerlichen einkäufer bis zu betrunkenen prolotouristen in gruppen, klassisch. mir fällt schnitzlers "weihnachtseinkäufe" ein, und andere dinge. die verkäufer in den geschäften scheinen mir ausgelaugt von diesen tagen, bleich und mit leiser stimme reagiert der buchhändler bei morawa auf meine anfrage, der musikverkäufer bei gramola sieht wirklich gezeichnet aus. aber sie sind zu diensten, ich bekomme meine bücher und CDs. die tür vom gramola fasst eigentlich nur einen menschen im durchgang, aber die eintretenden wollen nicht warten bis ich draussen bin, sondern schieben sich mitten unter dem türstock an mir vorbei. ich dreh mich um 90° um kollisionen zu vermeiden und gehe vorsichtig hinaus auf den graben.
trotz alle dem ist irgendwo eine vergrabene und pervertierte freude in den menschen, vielleicht in vielen kindheiten ruhend, die so mancher mit sich herumträgt, wo die erinnerung an eine grosse freude und schöne zeiten schlummert, verschüttet ruht oder - dämmert, möge es so ein. und das alles, mit den lichtern, den grossen roten kugeln in der rotenturmstrasse, dem bürgerlichen chic von frau stenzel, dem geruch von punsch und dem gelächter scheinbar fröhlicher menschen, der großzügigkeit und dem geiz, den pferden und melonentragenden fiakern - das alles und viel mehr noch ist weihnachten in dieser stadt.

erinnerung an die zunkuft

oder eine vision der vergangenheit: der himmel heute abend in wien.
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was wir schaffen

in der stille meiner wohnung werden sie kleinen geräusche groß: jeder tropfen, der fällt, das leise plätschern des kühlschranks, das kaum merkliche summen des CPU kühlers - sie können zu einer größe anwachsen, wie man nie vermuten würde, wenn man ihnen diese kraft gibt, sie groß macht. es ist mit allen dingen so: wir machen sie. wir machen sie real oder irreal, relevant oder irrelevant, wichtig, entscheidend, was auch immer. wir erschaffen und bestimmen, was ist und was nicht. das ist so gewaltig und grundlegend, daß wir es nicht glauben können: wir sprechen von objektiven dingen, die unabhängig von uns existieren, von sachzwängen, von verantwortlichen und schicksal - in wahrheit machen und steuern wir das alles selbst.

plattform

ich lese michel houellebecqs plattform und finde es schrecklich, aber auch typisch - insofern, als das buch eine richtung beschreibt, die wir (als europäer) eingeschlagen haben; immer wieder muss ich an 1984 von orwell und brave new world von huxley denken, die, obschon oder weil viel älter, heute wirklichkeit sind. der zentralistische welt-faschistenstaat formiert sich deutlich (9/11 war ein quantensprung für die agenda), unter der führenden kraft der bush-familie streben wir (wie die schafe, die ihrem hirten folgen) dem ziel der totalen kontrolle zu, assesstiert von der EU und der UNO. der satz aus orwells 1984: "Wenn Sie sich ein Bild von der Zukunft ausmalen wollen, dann stellen Sie sich einen Stiefel vor, der in ein Menschenantlitz tritt - immer und immer wieder."
es gab eine zeit in der achtziger- und neuzigerjahren, da war für mich huxleys prophetischer roman näher an unserer zukunft als 1984. jetzt ist es deutlich anders.
während ich houellebecqs plattform lese, spüre ich unsere zerstörten gefühle, die unfähigkeit wahrzunehmen und zu empfinden, und die hoffnungslosigkeit unserer zukunft ... wir kriechen in den trümmern unserer gier und unserer dummheit und meinen auch noch, es ginge uns gut und wir wären frei ...
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wenn ich aus meiner fensterfront sehe, scheint alles ruhig und idyllisch, die sonne ist vor einer stunde untergegangen und nur weit hinten (ich sehe den schneeberg von meiner terrasse aus), wo der himmel die erde berührt, sind rote und orange wolkenschleier verdichtet, von unten angestrahlt von der zurückgelassenen sonne. warm ist es draußen, wie im frühling, man kann sich glücklich räkeln und seufzen - und danken für solche minuten oder stunden.

vor 12 jahren

wenn man die rotenturmstraße vom stephansplatz richtung schwedenplatz entlang geht, kommt man an vielen bars vorbei, die diese einkaufsstraße durchflechten.
vor etwa 12 jahren, du warst gerade zwei jahre alt, paul, tranken deine mutter und ich an einem spätsommernachmittag in einer dieser bars kaffee, aus einer laune heraus. ich weiß noch, daß wir lachten, und wir saßen keinen meter von der großen glasfront des cafes entfernt; als ich den kopf zur seite drehte, sah ich draußen direkt vor der scheibe eine junge frau, die stehengeblieben war und uns anschaute. und weinte. ich erinnere mich wie betroffen ich war, auch wenn ich mir kaum etwas anmerken ließ. aber doch aufstand und zu ihr hinausging und sie fragte, was denn geschehen sei; sie auffordete, mit rein zu kommen und etwas mit uns zu trinken. wie sie den kopf schüttelte, sich entschuldigte und weinend meinte es sein nichts, wir sähen nur so glücklich aus, ihr aber ginge es nicht gut.
bis heute fällt mir immer wieder diese szene ein, wenn ich an diesen lokalen vorbeikomme. ich weiß nicht mehr genau, welche bar es war; ob es sie überhaupt noch gibt. aber das gefühl bleibt mit dem ort verbunden. oft schau ich durch glasfronten ins innere eines lokals und versuche, am inventar das cafe von damals wieder zu entdecken.
fände ich den ort von damals, würde ich wahrscheinlich drinnen einen melange trinken, durch die scheiben auf die straße hinaussehen und mich fragen, wieviele dort draußen weinen, auch wenn man es nicht sieht und wenn sie nicht stehenbleiben um durch die scheibe reinzuschauen. sie sähen dort auch keinen lachenden mann, sondern einen ernst oder abwesend dreinschauenden, merkwürdigen (gutaussehenden) typen mit verstrubbelten haaren und einer etwas schmuddeligen lederjacke, deren oberster knopf fehlt. deshalb friere ich, wenn ein kalter wind durch wien weht, heute am ersten frühlingstag, aber das stört mich nicht im geringsten.

weihnachten

was bleibt, ist die sehnsucht nach der erinnerung:
wie weihnachten in der kindheit war. die freudige erregung, in der man sich tage vorher schon befand, die unruhe, von der erfüllt man nicht mehr still sitzen konnte (was auch ohne weihnachten schwierig genug war) und es schlicht einfach nicht aushalten wollte. die eltern, die das ebenso genossen wie wir kinder; die kleinen vorbereitung, weihnachtskekse backen, kochen, spaziergänge im tiefen weißen schnee; und dann der moment der türöffnung: das kerzenlicht, der baum, die vielen kleinen dekorationen, das messingglänzende engelsgeläute; die geschenke unterm baum, die feierliche stimmung - und auch das gefühl der abwesenheit sämtlicher sorgen, belastungen, wie auch immer einengenden elemente;
fülle. und frieden.
das alles ist erinnerung, die blaß sein könnte, wenn ich sie mir nicht in den intensivsten farben erhalten hätte.
und das habe ich.
dank an die eltern, die das herz hatten (und haben), so zu leben, mit uns kindern, für uns kinder.
(vangelis "voices" - losing sleep)

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