der größenwahn des säuglings

eben brachte h.m.enzensberger in "delta" die "wahnvorstellungen der biologie" (wir können ewig leben, alle krankheiten heilen, geist gibt es nicht etc. ...) mit dem größenwahn des säuglings in verbindung. wie treffend!
albannikolaiherbst - 29. Okt, 18:06

Enzensberger liebt das Mittelmaß, zu dem er nicht gehört.

Aber so kann er sicher sein, daß nichts an ihn heranreicht.

Mich i n t e r e s s i e r t dieser sogenannte Größenwahn, da wir ohne einen solchen weder Pyramiden noch Schlösser noch van Goghs Gemälde noch die späten Streichquartette Beethovens noch Flugzeuge noch überhaupt Medizin noch Anselm Kiefers "Maikäfer flieg" noch --- eine Liebe hätten, die obsessiv an sich glaubt. Enzensbergers Wunschwelt mag keine Kriege kennen, aber sie kennt a u c h keine Lust.
Und der Größenwahn des Säuglings ist eben das, was ihn überleben läßt und "glauben", daß er in allem Unheil seinen Weg gehen wird. Daran, an diesem Glauben tut er Recht - ebenso wie ein Wissenschaftler, der dann schlußendlich - möge es nur einer unter Tausenden sein - etwas e r f i n d e t und findet.

ferromonte - 29. Okt, 18:12

ja, was die arbeit des außergewöhnlichen künstlers betrifft, pflichte ich ihnen bei, lieber herbst. in der TV-diskussion ging es an dieser stelle um eine kritik an der relativ jungen wissenschaft der biologie, die sich eben, so enzensberger, dem größenwahnsinnigen säugling entsprechend verhält mit ihren visionen und ansprüchen (man denke analog an die physik, wie sie vor 200 jahren meinte, der kosmos bestehe aus billardkugeln und wäre durch und durch berechenbar; mittlerweile denkt sie auch über ihre grundlagen und grenzen nach, und ist in die erwachsenen jahre gekommen. die biologie aber ist noch nicht einmal in der pubertät ...).
das ist ja nicht einmal negativ gemeint, sondern eher amüsiert. und auch ein wenig beunruhigt, weil in diesem wissenschaftsklima unheil zu wittern ist ...
albannikolaiherbst - 29. Okt, 18:21

Nur nebenbei, à propos Enzensberger, gefragt...

...den ich in seiner Vergötzung des Mittelmaßes zunehmend weniger mag (ein Dichter war er ja ohnedies nie): Was v e r s t e h t er denn von Biologie?

Und amüsiert ist der (seelische) Kleinbürger immer über Fremdes, solange es nicht seine Couchgarnitur gefährdet. Selbstverständlich ist überall Unheil zu wittern (und auch da), in sämtlichen wissenschaftlichen Disziplinen ... auch ganz zu Recht. Aber wer sich die letzten 2000 Jahre anschaut, wird feststellen, daß sich diese hochgradig erstaunliche Art, der Mensch, stärker der Wirklichkeit eingeschrieben und - von wenigen Reptilien und Insekten abgesehen - besser behauptet hat, als irgend eine sonst. Sogar unser aller Lebenserwartung ist, vom Mittelalter aus gesehen etwa, auf eine kaum glaubhafte Länge angestiegen. Und das, obwohl sich zunehmend die ökologischenLebensbedingungen verschlimmert haben. Es gibt, aufs Ganze gesehen, keinen Grund zum Pessimismus, so furchtbar einiges immer auch war und ist.
ferromonte - 29. Okt, 18:27

ich bin ja auch nur pessimistisch, was mich/mein leben betrifft (und meine couch), und auch das nur gelegentlich - die vielen milliarden sind anscheinend eh sehr zufrieden mit der welt und ihren machthabern, ob jetzt wissenschaftler, industielle, finanzhaie oder politiker.
die alte vorstellung, wie sehr es der natur egal ist ob die menschen (über)leben oder nicht, tangiert mich nicht mehr.
die welt existiert nur durch mich. existiere ich nicht mehr, existiert die welt nicht mehr.
(soviel zum größenwahn des säuglings)

ad enzensberger: vielleicht sehnt er sich auch nur nach etwas, daß das allgegenwärtige mittel- und untermittelmaß, das längst maßgeblich geworden ist, übersteigt?
albannikolaiherbst - 29. Okt, 18:38

Ad Enzensberger:

Das glaube ich nicht. Es gibt einen sehr erhellenden Essay von ihm, der "Lob des Mitelmaßes" heißt. In seinem Herzen ist er Sozialdemokrat, das ist das Problem. Politisch gesehen, würde ich ihm beipflichten, nicht aber in den schöpfenden Künsten, zu denen die Wissenschaft g e h ö rt.
Und ad Glasperlenspiel: So kann ich dazu leider nichts sagen. Vielleicht würde auch für Sie eine persönliche Begegnung eines Tages etwas klären. Ich selbst hätte derzeit allen Grund zu verzagen, aber, wenn ich auch zwischendurch traure, schwer traure, ich muß nur meinen Sohn anschauen, um zu wissen: "Es lohnt." Und nicht nur er, nein, auch was ich tue. Und jeder Blick einer mir lieben oder völlig unbekannten Frau.

ferromonte - 29. Okt, 18:57

ja, es lohnt -
wie bringen sie jetzt den begriff "glasperlenspiel" herein?
und wieso zählen sie die wissenschaft zu den schöpfenden künsten? wenn sie sich ansehen, wie (natur)wissenschaft, allergrößten teils und allermeisten geldes verbrauchend, heute "gemacht" wird, dann müssen sie enzensbergers mittelmaß als vorherrschende realität anerkennen (auch wenn ers vielleicht nicht so gemeint hat, ich erinnere mich zwar an den titel, aber nicht mehr an den inhalt besagten essays). die kreativen unter den wissenschaftlern sind nicht nur kleiner an der zahl wie die künstler, sondern auch seltener in der art. es wird geforscht aus militärischen oder finanziellen/karierreorientierten gründen, und oft planlos einfach drauflos, denn budgets müssen verbraucht werden, sonst sind sie nächstes jahr weg.
vielleicht liegt das kreativste der (natur)wissenschaften ja in ihrer basis-losigkeit: sie hängen in der luft, wie wir selbst, ohne festes fundament und den winden aller himmelsrichtungen gnadenlos ausgesetzt. was gestern wissenschaftliche forschung oder "bestes wissen und gewissen" war, ist heute barbarische unwissenheit und lange überholt.
das gilt nicht für künstler und kunstwerke, denn sie schaffen für sich und ihre werke (und ihre menschen und umwelt) pausenlos sythesen. die werke der großen künstler der vergangenheit bleiben gültige und wirksame kunstwerke, die veralteten theorien der nawi sind nur von akademischem interesse.

Trackback URL:
https://ferromonte.twoday.net/stories/381803/modTrackback

User Status

Du bist nicht angemeldet.

free text

aus dem bildarchiv:

gespraech

gehört


Don Pullen
New Beginnings


Sarah Vaughan
Black Coffee


Eva Cassidy
Songbird


counter

suche

 

recently modified

umzug, ende der phase...
mit dem heutigen tag übersiedle ich zu wordpress. hier...
ferromonte - 11. Apr, 22:47
2020
unworte des jahres: "covid-19" "stop corona app" "wieder...
ferromonte - 9. Apr, 14:40
was wir glauben
in einer Situation wie dieser Corona-Krise kann man...
ferromonte - 8. Apr, 11:19
hmja
Dass die EU einmal mehr total versagt, weil wir alle...
ferromonte - 19. Mär, 14:20
Sturheit und Dummheit
https://www.derstandard.at /story/2000115394387/sture -geht-nicht-formeln...
ferromonte - 6. Mär, 15:31
oh ja
oh ja
boomerang - 5. Mär, 23:13
Corona und 2020
Das Erschreckende an der Corona-Thematik sind die Medien(!!),...
ferromonte - 5. Mär, 08:14

Status

Online seit 7759 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 15. Jul, 02:09

RSS Box

Credits