wahrnehmungen
Den Kaffeebecher in der Hand sehe ich im Garten eine Amsel vertrocknete Grashalme aus der Wiese zupfen, sie sammelt offenbar Material. Die Halme sind zu einer Garbe angewachsen, so könnte man sagen, und diese ist schon so groß, dass sie den Kopf ganz verdeckt und man nur den schwarzen Rumpf des Vogels arbeiten sieht, und den Schnabel ganz vorne, der das Heu wie eine Gabel umfasst.
Es ist der vierte März, und die Anzeichen eines Frühlings mehren sich: Krokusse und Schneeglöckchen in Nachbargärten, Gänseblümchen, Stiele von Märzenbechern, von Hyazinthen, blutrote Knospen keimender Pfingstrosen im Boden. Und eine Amsel, die damit beginnt, Vorsorge für ihre genetisch programmierte und geistig bestimmte Familie zu treffen ...
ferromonte - 4. Mär. 2020, 7:58
er hat eine karte geschenkt bekommen und ist doch
in dieses haus gegangen (das er seit dem umbau nicht mehr so recht mag ..) um die bilder eines giganten zu sehen, die er noch nie im original gesehen hat. wer sich nichts erwartet, bekommt oft die welt geschenkt.
fast wär er gar nicht gegangen, die menschenmassen, das gedränge, die schlechte luft. a. schröder, den er nicht mag. dann aber doch.
die ausstellung ist gut gehängt, sie dokumentiert die rasende künstlerische entwicklung van Goghs in seinen letzten zehn jahren.
die bilder ab 1888 - niemals vorher hat er einen so grundlegenden unterschied zwischen reproduktion und original erlebt, van Goghs bilder leben definitiv, gerade die letzten jahre sind unfassbar: jeder strich scheint voller leben.
sie nehmen ihm den atem und treiben ihm die tränen in die augen, mehrmals in den räumen "st. remy" und "auvers".
was bleibt: bewunderung, erschütterung, tiefe bewegung. mitgefühl.
begeisterung.
(da stört dann auch ein glubschäugiger klaus nüchtern nicht mehr, der mit dem audioguide am ohr bildungsmut beweist, obwohl ihm die konzentration fehlt: ständig muss er um sich schauen, ob ihn nicht jemand erkennt ..)
ferromonte - 4. Dez. 2008, 19:51
von diesem sonnigen klaren tag hatte ich nur die morgens in die sonne blinzelnden meter bis zum bus, ein paar blicke aus den laborfenstern, und die wenigen schritte von der bushaltestelle bis zu meiner wohnungstür. und die ließen mich den sterbenden abendhimmel sehen, er schenkt mir ein tiefes und reich schattiertes blau, das ins sanfte aber leuchtende lila übergeht - und wenn ich mich drehe, finde ich alle blau- und blaugrün-schattierungen, die mein gehirn zu kennen glaubt, phantastisch. aber es ist bitter, umso mehr, als meine augen und der rest von mir nach sonne lechzen - und ich verkaufe einen tag wie diesen für ein paar miese euro, die ich den energiekonzernen, einer bank oder einem immobilienhai in den rachen werfe: da fühlt man sich schon sehr bescheuert, und das bin ich wohl auch - so zu leben. ach ja.
mein magen hat sich nach vier tagen wieder beruhigt, das ist ein gutes gefühl. merkwürdige erkenntnis: wie ungeschützt man ist, wenn man ein akutes magenproblem hat. der ganze solarplexus scheint stillgelegt zu sein, er kann nicht mehr abschirmen (und es dringen energien in mein kraftfeld ein, die dort nichts verloren haben). das ist jetzt vorbei, und ich fühle deutlich, wie intakt mein schutz wieder ist.
die temperatur ist niedrig, ich habe maximal 17° hier, wenn ich heimkomme, und ohne heizung oder pullover lässt sich wenig anfangen. beim heizen aber immer ein übles gefühl: geld, von dem ich keinen cent zu viel habe, zu verbrennen scheint mir irre, aber ohne wärme kann man schlecht mit dem kopf arbeiten. also heize ich, ohne weiter zu denken. aber es ist eine last mehr, die man mit sich rumträgt.
am meisten aber fehlt mir das sonnenlicht.
ferromonte - 28. Nov. 2007, 17:17
die ersten schritte werfe ich mich vorwärts, das gewicht nur mit dem willen vorantreibend; dann aber beginnt schnell der körper selbst zu laufen, die kraft von innen nehmend. alles ist auf diese weise leicht. die in den muskeln gespeicherten emotionen und erlebnisse geraten in bewegung, verwandeln sich in elektrische signale oder kleine energiewolken und steigen ins bewußtsein auf: das amorphe chaos in mir und die anstrengungen der letzten tage bewegen und verschieben sich, werden zu gedanken, die sich vernetzen und bedingen, sich neu anordnen: ein kristallisationsprozeß kommt in gang.
nach einigen minuten spüre ich, wie ich leichter werde, das laufen sich völlig verselbständigt hat und während sich die dinge ordnen in mir, beginne ich die umgebung wahrzunehmen:
die miniaturmoränen der gestrigen wassermassen, die während des gewitters runtergekommen sind und jetzt als spuren dieser ereignisse die wege zeichnen; große pfützen, denen der laufende körper automatisch ausweicht; ein fasan, der mich kommen sehend in die büsche verschwindet; wenige spaziergänger, es hat wieder leicht zu regnen begonnen und das ist gut so. ich laufe leicht wie eine feder durch den regen und habe das gefühl, stundenlang so weiterlaufen zu können.
draußen in den wiesen der lobau werde ich langsamer, an dieser stelle, wo ich mit 90° nach rechts abbiege werde ich immer langsamer, weil ich die offenen wiesen und die hohen bäume weit hinten sehen will, das gefühl der größe und weite aufnehmen will. jetzt merke ich auch, daß mit dem langsamer werden mehr licht in meine augen kommt, es scheint heller zu werden, mehr vom sonnenlicht durch die wolkendecke zu dringen. an tieren lassen sich nur vögel und insekten sehen, letztere drollig und eifrig, in den regenpausen ein paar gänge und flüge erledigend.
die wiesen sind noch nicht gemäht, sie erreichen langsam ihren höchststand und eine blumenvielfalt, die eine art aufgeregter ruhe ausstrahlt : am auffälligsten sind die kleinen köpfe der purpnen heidenelken, die mit samtender intensität direkt ins herz hereinreichen.
im weiterlaufen kommen dann wieder die themen der letzten tage, aber sie belasten nicht, sondern ordnen sich selbst zu einem lebendigen gefüge. es stimmt, weniger ist mehr.
auf dem breiten erdigen weg rutsche ich am rand einer tiefen pfützen mit dem rechten schuh ab und tauche ordentlich ins wasser ein. ich habe geträumt.
je näher ich wieder meiner wohnung komme, umso mehr mischt sich der geschwätzige verstand ein und verplant den rest des nachmittags, ich lache mich selbst dabei aus.
ja, ich hätte draußen bleiben sollen ...
ferromonte - 3. Jun. 2007, 14:00
an manchen tagen hört man musik im kopf, die den ganzen tag begleitet, kommentiert und durchtränkt in einzigartiger weise, weil sie so treffend und wesenhaft ist wie nichts es sonst sein könnte. das war und ist noch immer die
sechste symphonie beethovens heute für mich - sogar das wetter spielte zu 100% mit: jetzt scheint die sonne nach einem gewitter und lässt friedlich und abgeklärt die dinge ineinanderfließen ... unglaublich -
ferromonte - 3. Mär. 2007, 16:48
mit 20 jahren schrieb ich 10 seiten lange briefe ohne anstrengung, es floß einfach heraus. ob sie inhaltsstark und lesbar waren, darüber ist dadurch nichts gesagt, aber immerhin hatte ich wenigstens das gefühl, mich artikuliert zu haben.
heute habe ich darin große schwierigkeiten, weil ich mich selbst zensiere, indem ich an die adressaten und die wahrscheinlichkeit denke, mit der mich diese mißverstehen werden. und nachdem mein dringendes bedürfnis verstanden zu werden - und nicht bloß, mich zu artikulieren - unvermindert wach ist, werde ich nicht müde, im kopf briefe zu schreiben, deren treffendste wendungen ich irgendwo notiere, zettel die grade zur hand sind oder ein notizbuch ( -> woody allen/der stadtneurotiker : „Sagen Sie nichts gegen Masturbation; das ist Sex mit jemand, den ich sehr liebe.“).
aber sie werden nie abgeschickt, und auch diese kommunikation findet nicht statt: wie armselig ich doch geworden bin.
ich erinnere mich, wie ich früher zu fuß in der nacht quer durch die ganze stadt gegangen bin, zu fuß, stundenlang, auch im winter, um ein gespräch zu führen. jetzt gebe ich auf, bevor ich noch angefangen habe.
das gedenke ich auch zu ändern, neben anderen änderungen, die jetzt aber nicht thema sein sollen hier.
ferromonte - 24. Feb. 2007, 23:57
was bin ich dankbar für diese warmen, hellen herbsttage! allein diese halben stunden, die ich still (er)leben kann, wenn ich heimkomme und die sonne breit in den ganzen wohnraum scheint; die vogelschwärme (saatkrähen), die von den feldern auffliegen, der rote streifen am horizont, vom smog der stadt verwischt, aber man weiß ihn dort;
so, wie früh morgens der geruch der modernden blätter auf den wegen, die farben des herbstes an allen ecken und mauern .. das kann ich deutlicher sehen als noch vor einem jahr. darüber froh zu sein - klingt für machen vielleicht etwas merkwürdig, aber mir ist das mehr wert als alles geld der welt. für mich ist das schöner als jedes kunstwerk (ausser bestimmter musiken vieleicht -) und wirklicher als jede kulturleistung - es scheint mir der deutlichste erfassbare ausdruck der quelle zu sein; ein buch, das es zu lesen gilt, eine sprache, die zu erlernen ist. eine musik, die zu hören erlernt werden muss und ein gesicht, das wahrnehmen zu lernen ist.
ferromonte - 27. Okt. 2006, 17:04
beim heimkommen eben der eindruck, in der zeitmaschine des g.h.wells' zu sitzen: die privaten weihnachtsdekorationen in den fenstern der leute, sterne, girlanden, weihnachtsbäume. so war es auch jetztes jahr, und im jahr davor. von jahr zu jahr mehr glitter, glanz, unsinn (die sich abseilenden santas etwa ..) und umsatz, dafür auch weniger wahrheit, weniger liebe, weniger leben.
wie das flackern der tag- und nachtwechsel, das immer schneller wird, bis es ein flimmern ist und schließlich ein konstantes halbdunkel, in dem die einzelnen schwingungen vom auge nicht mehr registriert werden können.
ferromonte - 24. Nov. 2005, 18:01
die feinere kunst des lebens besteht darin, dem shuffle-modus im richtigen moment vorzugreifen. das heißt: nicht alles dem zufall zu überlassen.
aber im richtigen maß eben, denn manchmal erledigt der shuffle-modus alles nahezu perfekt. da wäre es enorm gewalttätig und kontraproduktiv, vorzeitig eine andere richtung einzuschlagen (das gilt natürlich auch umgekehrt).
eine sache der intuition: den richtigen augenblick erfassen.
deshalb ist es wichtig,
die qualität des augenblickes zu erkennen.
wenn man zu rechnen beginnt (- "was wäre wenn") oder angst zu haben (- "wenn ich was versäume, wenn ich was falsch mache"), hat man schon verloren.
wie
bei der technischen alltagsentsprechnung:
man wird nie erfahren, was als nächstes gekommen wäre.
ferromonte - 15. Nov. 2005, 18:20
heute fiel mir beim umsteigen von u- zu straßenbahn plötzlich ein, daß ich als kind öfter von einer merkwürdigen stadt geträumt hatte: es muß in asien gewesen sein, riesige hohe häuserzeilen, breite geschäftsstrassen, nach oben hin werden die häuser breiter, durch balkons und simse etc., überall eine bienenemsige geschäftigkeit, wimmelnde menschen, ich mitten drinnen. und einerseits das bezaubernde gefühl, sich in dieser komplexität selbst zu verlieren (verlust des ego), andererseits die angst, eben darin verloren zu gehen. gefühl der angst-lust, wie das des extremsportlers (paragleiten etc.)
diese riesige stadt, die vielen vielen menschen, die angst, die lust - und diesen traum hatte ich nicht nur einmal, ich erinnere mich auch, angst vor dem traum zu haben, und mir doch vor dem einschlafen gewünscht zu haben, ihn wieder zu träumen ...
ferromonte - 25. Okt. 2005, 17:26