demokratie in der EU

nach den ergebnissen der jüngsten volksabstimmungen zur eu-verfassung und neuen (absurden) vorschlägen aus einer bestimmten windrichtung fragt man sich, wie wäre wohl die sogenannte erfolgsgeschichte der EU verlaufen, hätte man immer das volk abstimmen lassen (die einzige, hierzulande massivst doppelbödig propagierte abstimmung war ja die zum eu-beitritt 1994): bei schengen, maastricht, nizza, währungsunion etc ... dann wäre dieses damaskuserlebnis (wenn es denn eines ist) wahrscheinlich gar nicht nötig gewesen, und den damen und herrn in brüssel wäre einige verzweiflung erspart geblieben. voggenhuber könnte einem ja fast leid tun.

es gibt da einige grundlegende probleme:
  • ich sehe kein wirkliches bedürfnis der europäischen nationalstaaten (der bevölkerungen) für eine EU, wie wir sie sehr deutlich in den vergangenen jahren (vor und nach dem beitritt) erlebt haben. bürokratie und mißbrauch von geldern, ämtern und posten scheinen in einer viel zu großen dimension da zu sein. wer kann eine in den anfängen schon so korrupte und verschwenderische leitung wirklich befürworten, während alle anderen sparen und verzichten müssen?
  • was will denn die EU wirklich? ich lasse alle verschwörungstheorien beiseite und frage mich ganz ernsthaft: was haben die (ich weiß, ich müsste wir sagen) für ziele? das ist und bleibt unklar. verwalten können wir das land österreich ja selber, und die gemeinsamkeit in europa, die beschworene und erträumte - die zudem aus den einzelnen menschen kommen müsste und nicht von wenigen bürositzern und industriellen - gibt es leider nicht. wirtschaftlich so zusammenzuarbeiten, daß das für den europäischen raum vorteile hat, können wir immer, wenn wir wirklich wollen, auch ohne diesen irren bürokratischen und medialen aufwand. die einzelnen staaten können ihre gesetze angleichen, sonderabkommen schließen etc. .. ist der gesamte gesetzliche aufwand einer EU nur dazu da, die banken in ein gemeinsames korsett zu zwingen? die doch ohnehin schlußendlich machen, was sie wollen?
    ja, es ist wunderbar, ohne grenzkontrollen etc. durch europa reisen zu können, das will ich nicht missen. aber auch nicht um jeden preis halten.
  • die eu zeigt sich als chaotisches baby: eine hochkomplizierte verfassung, die keiner versteht und die schwammig und unklar ist, soll im nachhinein, mitten während atemraubender erweiterungsprozessen draufgesetzt werden - wieso wurde diese verfassung nicht spätestens 1967 erarbeitet? kein wunder, daß es jetzt große probleme gibt.
  • brüssel und die politiker dort scheinen vielen nicht vertrauenswürdig. man hat den eindruck, sie wissen nichts vom leben in den einzelnen staaten, sie wirken lebens- und praxisfern, ohne kenntnisse der eigenheiten und menschen der länder. und schlimmer noch: sie scheinen daran auch gar nicht interessiert zu sein. sie vermitteln den eindruck, etwas durchzuziehen, das niemand genau kennt, sie selber auch nicht. kleine dinge wie spesengelder etc. (mir zahlt auch niemand meine spesen (netzkarte, telefon, internet, laptop, benzin etc), die ich brauche, um meinem job nachzugehen - das gilt auch für die öst. politiker) sind da nur der i-punkt, der die ablehnung und das mißtrauen regelrecht züchtet
  • richtige wirtschaftspolitik zu machen - eine zu recht gehegte forderung - ist eine reine utopie, jedenfalls wenn wir davon ausgehen, daß sich die bevölkerungen eine soziale, den menschen und ihrem leben dienliche wirtschaftspolitik in ihren eu-träumen vorgestellt haben. (gestern sah ich wieder den österr. präsidenten der industriellenvereinigung im tv in einer diskussion mit SPÖ-leuten. und wieder konnte ich kaum fassen, wie unterschiedlich die welten sind, in denen ein mensch wie er und meinereiner lebt. sorger ist absolut nicht interessiert an den bedürfnissen der gesellschaft (=der menschen). er ist einzig und allein an seinem am wohl der industrie interessiert. jede diskussion, die uns näher bringen könnte, wird abgeschmettert mit wirtschaftlichen axiomen, dogmen und glaubenssätzen. wie soll da vertrauen in solche menschen entstehen können?)
    in brüssel scheint sich niemand um einen schutz des europäischen wirtschaftsraumes vor den negativen auswirkungen des weltweiten lohndumpings und anderer globalisierungseffekte zu kümmern. die menschen wollen und erwarten sich aber genau das. kein wunder, daß dann niemand die verfassung gutheißen will, oder? und es ist billig, das scheitern der referenda in frankreich und den niederlanden der dortigen innenpolitik zuzuschreiben. die sache ist doch viel größer.
Ostracised - 6. Jun, 13:56

für mich ist das ein interessanter text, gerade weil ich es ganz anders empfinde und so aus dieser anderen perspektive etwas neu sehen lerne. vorschlag zu einem selbstexperiment: ersetze beim lesen in dem beitrag jedes vorkommnis von "EU" durch "Österreich", und ich glaube die vorwürfe, bedenken, ängste treffen dann genauso gut oder schlecht. so ist etwa meines erachtens die EU sogar weniger korrupt als die österreichische bürokratie usw. warum also richtet sich die kritik immer gegen die EU, und nicht gegen den eigenen nationalstaat? meine meinung: weil die meisten für den eigenen nationalstaat nach wie vor einen - in dieser form - irrationalen, trotz gelegentlichem hass letztlich unbedingten und alles andere ausschließenden patriotismus empfinden. weil die menschen es aber gewohnt sind, nur auf dieser gefühlsebene zugehörigkeit zu einem politischen konstrukt wahrzunehmen, erscheint ihnen dann die EU vergleichsweise abgehoben und unheimlich.

ferromonte - 6. Jun, 17:37

wenn es so geplant war, daß die EU nicht weniger korrupt als eine ihrer staaten sein soll, dann habe ich da grundsätzlich etwas mißverstanden. mir genügt eigentlich ein organisiertes korruptionszentrum, das mich beim wählen in hilflosgkeit und zynismus zurücklässt. patriotismus und nationalismus (für mich dasselbe) sind mir eher fern.

nach der TV diskussion in orf2 gestern könnte man doch auch mehr mut zum inhalt haben, wenn man schon - was ohnhin kaum noch vorkommt - kommentiert.
z.teil wurden da einige der obigen punkte angesprochen (frau küblböck von attac und herr katzian von der gpa), und es war augenfällig, wie sich fischler und stepic (als vertreter der mächtigen deutlich an ihrem gehabe, körpersprache, tonfall etc. zu erkennen) sich mit den immer selben, oft sehr oberflächlichen und engstirnigen argumenten aus der verantwortung und brisanz rausredeten. trauerspiel. dieses personal gehört ausgetauscht, mit intelligenten, unbestechlichen jungen menschen, denen ihre und unsere zukunft am herzen liegen, die mutig sind und sinnvolle reformen machen - diese alten, toten sesselkleber sind einfach nur peinlich und überflüssig.
Ostracised - 6. Jun, 20:09

die "offen gesagt"-sendung habe ich auch gesehen. zum auftreten von herrn katzian hat eva linsinger einen guten kommentar im standard geschrieben - Die roten Europa-Populisten. frau küblböck hingegen hat mich positiv überrascht. da war für mich ernsthaftes bemühen um tragfähige argumente. allerdings hatte fischler recht, sie auf den volkswirtschafts-guru keynes anzusprechen, dessen argumente die europäische wirtschaftspolitik der nachkriegszeit inspirierten. sie bescherten uns aber auch die staatsverschuldung, das langsame wirtschaftliche wachstum seit den 1980ern, und damit die europäische arbeitslosigkeit und gelten daher als obsolet. küblböck gab aber zu: ja, keynes sei schon nicht schlecht. hat sie also keine anderen alternativ-rezepte als jene, die bereits vor zwanzig jahren gescheitert sind? das ist ja gerade das problem: es gibt keine überzeugenden, tragfähigen radikalalternativen zum mainstream der wirtschaftspolitik. oder?
ferromonte - 6. Jun, 20:26

daß sich eu-statten untereinander konkurrenz machen, das sollte unterbunden werden. aber da meinte fischler plötzlich, das würde die kompetenz der kommission überschreiten oder ähnlich. das müssten schon die staaten selber machen. ahja.
und deshalb habe ich den eindruck, daß kein bedürfnis nach einer eu in den ländern da ist. man sieht relativ deutlich, wer interesse an der eu hat und warum.
ich verstehe nach wie vor nicht, wozu der enorme eu-apparat gutsein soll.
populisten gibt es in allen lagern. sie sind widerlich, und wichtig für ihre parteien, weil sie wähler bringen.
die attac-frau hatte sehr wohl alternative vorschläge, die fischer auch zum schweigen brachten, wohl weil er schon zu müde war, außerdem: was kümmerts ihn. er hat seine schäfchen im trockenen.

ich wundere mich, warum du, ostrac., kein kritisches wort rausbringst zur EU. diese polarisierung, die du zumindest mitträgst (in dieser diskussion hier), führt nicht weiter.

ich kenne in mir den standpunkt, daß die eu eine gute grundidee ist, daß sie funktionieren kann, daß wir sie entwickeln und aufbauen müssen. die realität aber ist so frustrierend und ärgerlich, daß ich nicht (mehr) daran glauben kann.
allein wenn ich sehe, wie die englische regierung ihre privilegien (britenrabatt) durchziehen konnte, und jetzt trotzdem definitiv gegen die eu arbeitet: da ist in der engl. regierung kein wille, da zeigt sich kein weg. und wenn jetzt wieder eine scheinweg zusammengedoktert wird, und der prozeß weitergeht, dann fehlt mir glaube: warum sollte ich denn glauben, daß darus etwas gescheites wird? da sind keine perspektiven. die lügen liegen alle offen da. was solls denn.
Ostracised - 6. Jun, 21:19

ich könnte schon kritisches zur eu sagen, tu ich auch gelgentlich in meiner eigenen bloggerei, aber ich habe eher den eindruck, dass die EU dringend meine unterstützung braucht im gegenwärtigen klima ;-)

mich ärgern der hemmungslose links-rechts-populismus von chirac und die agrarsubventionen für frankreichs bauern, aber französische politik kann ich nicht einmal an der wahlurne mitentscheiden. ebenso werde ich nicht die briten von einer föderalistischen EU überzeugen können. muss ich deshalb dafür eintreten, dass sich österreich von GB und frankreich abschottet? vielleicht nicht, aber eine EU kann wohl nicht mehr leisten als den größten gemeinsamen Nenner von französischer und britischer Regierungspolitik (+23 andere Länder). Und der ist leider nicht sehr groß... Ich kritisiere z.b., dass die kommission diese innere zerrissenheit nicht bei jeder gelegenheit klar ausspricht.

zu österreich muss ich aber sagen, dass ich es als großen verluste empfinden würde, als politischer bürger auf die perspektiven nationaler österreichischer lokalpolitik beschränkt zu sein. da interessiere ich mich einfach zu sehr für weltweite fragen, z.b. entwicklung oder globale gerechtigkeit. da ist die EU akteur, österreich allein wäre es nicht.
ferromonte - 6. Jun, 21:51

inwieweit ist die eu akteur? je nach situation heißt es einmal, die eu ist nicht mehr als ihre mitgliedstaaten, und was die nicht tun und wollen kann die eu auch nicht, oder das gegenteil. das ist übrigend meiner meinung nach eines der größten probleme:
wer ist die eu?
wir fühlen uns nicht als eu, wir haben diese eu-identität nicht. da nützt eine abstimmung und viele viele eu-fähnchen, kulis und broschüren auch nichts, identität muß gewachsen sein, um sich dann immer weiter verändern zu können.
wir aber leben in einer gespaltenen identitätslage: wir sind österreich (oder deutschland, frankreich, etc...(wir sind auch papst :))- UND wir sind eu. wir wählen einen österreichischen nationalrat, und wir wählen abgeordnete (und was für schießbudenfiguren das sind) ins eu-parlament - das ist aber auch schon alles, was wir mitbestimmen können in der eu. die eu präsentiert sich einerseits als verwaltung einer staatengemeinschaft, andererseits als- gesetzgeber. das ist eine sehr schwierige kost, wie damit umgehen? vor allem dann, wenn der "eigene" nationalrat auf die eu schimpft etc: man fühlt sich wie ein scheidungskind, daß permanenten elternstreitigkeiten zusehen muß. das ist nicht gesund. man kann die streitpartner nicht mehr ernstnehmen, oder man entscheidet sich für einen, indem man gegen oder für die eu ist. ich bin nicht dagegen, aber ich kann auch mit der eu in diesem zustand wirklich nichts anfangen. und ich ärgere mich über das, was die medien berichten.

unterhaltsam kann das eine zeitlang sein, man kann aussagen abwägen, theorien gegen andere halten, prognosen erstellen und statistiken miß- oder gebrauchen, aber irgendwann verliert das seinen reiz. man sieht nur noch das ergebnis, und das ist lausig.
"messt uns an unseren taten", haben die schwarzen und blauen österreichs im jahr 2000 gesagt, als sie die macht an sich gezogen haben. wenn ich das tun soll, sieht es finster aus. wenn die eu (nochmal: wer ist das? wir oder die brüsseler oder das eu-parlament oder alle zusammen? jedenfalls ist das demokratische regierung) auch diesen satz sagen würde: "messt uns an unseren taten" -- ich müsste lange überlegen. und wäre nicht überzeugt von dem, was ich dann sage ...

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