TradingDesk - 14. Sep, 01:23

Die ordnende Gewalt

Von Karl Otto Hondrich

Die Zeichen am Himmel sind unübersehbar. Die apokalyptischen Reiter sind unterwegs. Unterm Sternenbanner, auf wilder Jagd um den Globus. Durch die Wolken stoßen sie, wo sie wollen. Heute gehört ihnen der Irak und morgen die ganze Welt. Wahnsinn. Die so denken, sind allerdings nicht Amerikaner, sondern Meister aus Deutschland. Der Größenwahn der Macht entsteht im Auge des Betrachters. Hitler spukt noch in unseren Köpfen. Es sind seine Träume von Weltherrschaft, die wir auf Amerika übertragen. Glaubt man den Auguren des alten Europa, dann kennt die Welt keine größere Gefahr als Amerikas Übermacht.

Wer könnte sich ihren Argumenten entziehen? Ja, Konflikte sollen gewaltlos, im Rahmen des Rechts beigelegt werden. Ja, den Vereinten Nationen und nicht den Vereinigten Staaten soll die Rolle des Weltenordners zuwachsen. Ja, bis dahin soll die Macht in der Welt "multipolar" verteilt sein. So eingängig die Forderungen sind, sie beruhen auf Illusion. Nicht Rechts-, sondern Gewaltordnung ist die Grundlage von Gesellschaft. In der Weltgesellschaft baut nicht die Uno, sondern bauen die USA an diesem Fundament. Verteilung der Gewalt auf mehrere Pole, wenn sie denn möglich wäre, würde nicht mehr Frieden bringen, sondern weniger. Die gewaltige Macht Amerikas ist nicht das Problem. Sie ist die Lösung. Was aber ist das Problem?

Das Problem ist die Vielfalt und Streuung der Gewalt, weltweit. Es spitzt sich zu: Immer mehr Staaten, Banden, Terroristen, Fanatiker können sich vernichtende Waffen verschaffen und die Welt in Schrecken versetzen. Mit Recht und Verträgen ist dem nicht beizukommen. Und doch hat die Geschichte eine Lösung, im kleineren Rahmen, vorgemacht. Hier in Europa gab es Multipolarität, eine Art Gleichverteilung der Gewalt auf viele Herren. Sie führte zu fortwährenden Machtproben. Aus ihnen ging der moderne Staat als Monopolist der Gewalt hervor. Seine Hegemonie sichert den Frieden - allerdings nur nach innen.

Im Außenverhältnis der Staaten entsteht erneut Konkurrenz, nunmehr der nationalen Hegemonen, und damit erhöhte Gewaltgefahr. Das "Gleichgewicht der Kräfte", auf das die europäische Neuzeit von Metternich bis Bismarck so stolz war, hat Gewalt nur zeitweilig gebannt, um dann in umso größerer Gewalt zusammenzubrechen. Nur glücklichen Umständen ist es zuzuschreiben, dass das "Gleichgewicht des Schreckens" zwischen Nato und Warschauer Pakt nicht in einem Inferno mündete. Es verwandelte sich in die Vormacht der USA.

Nach Plan, Recht und Gesetz verläuft dies alles nicht. Eine Rechtsordnung, die Gewalt an Regeln bindet, setzt hegemoniale Gewaltordnung voraus. Das alte Europa scheint die grundlegende Rolle von Gewalt vergessen zu haben. Es fühlt sich nicht angegriffen, weder von Bin Laden noch von Saddam, von den Hamas-Kommandos nicht und nicht vom Kongo. Es suggeriert sich, dass Gewalt nicht durch Gewalt, sondern durch Nichtgewalt zu bändigen sei; ist es ein Zufall, dass nur Briten und Spanier, die Terror im eigenen Land kennen, für eine Gewaltlösung im Irak eintraten?

Sowenig wir die ferne Gewalt fühlen, verstehen und uns als Problem zu Eigen machen, so schnell haben wir die Patentlösung zur Hand: Die Uno soll es richten. Sie kann es nicht. Sie hat keine Gewalt. Wo Recht nicht durchgesetzt werden kann, gibt es kein Recht. Was der Uno aber am meisten fehlt, ist die Wucht geteilter Interessen und Gefühle, die zu gemeinsamem Handeln nach außen erst befähigen. Die Uno hat kein Außen und bleibt deshalb uneins im Innern. Sie versteht sich als das Ganze - und kann deshalb, tragischerweise, für das Ganze nicht handeln.

Was der Uno fehlt, haben die USA: wenn auch kein Weltgewaltmonopol, so doch die Führerschaft in einem Kartell der Waffenmächtigen. Was sie fähig macht zu handeln - die Unterscheidung zwischen Gut und Böse, innen und außen, Freund und Feind -, scheint sie unfähig zu machen, für das Ganze zu handeln. Auch wenn sie von der Uno gerufen werden - immer bleiben sie Nation, also nur Teil des Ganzen und ihren eigenen Interessen verhaftet. Allerdings, als Interessen einer Großmacht reichen sie weiter als die von anderen Staaten. Sie kommen, zumindest was Schutz vor Gewalt angeht, den Interessen des Ganzen nahe. Auch ohne einen Ordnungswillen für das Ganze (der eher gefährlich werden kann) erfüllen sie, sei es unbeabsichtigt, eine zentrale Aufgabe aller Staatlichkeit: Gewalt dem freien Spiel der Kräfte zu entziehen und ruhig zu stellen - im Quasi-Weltstaat eine ungeheure Aufgabe. Weil niemand sonst sich ihr unterzieht, ist Weltgewaltordnung heute, notgedrungen, US-hegemonial.

Überfordert die Aufgabe nicht die Kraft einer Nation? Amerika übernehme sich, sagen seine Kritiker; wirtschaftlich lebe es bereits auf Kosten der andern, es führt chronisch mehr ein als aus. Das kann man anders deuten: Die Welt gibt Amerika in Waren zurück, was sie an militärischen Diensten von ihm bekommt.

Längst gibt es global eine Aufgabenteilung. Sie funktioniert ohne Vertrag und Recht, ja ohne Gerechtigkeit - aber sie funktioniert: Für die Welt gearbeitet wird in Asien, in Arabien gebetet, in Afrika gelitten, in Amerika gerüstet und in Europa über alles geredet. Das eine wie das andere ist gemeinschaftsdienlich. Aber durch noch so viel Reden und Reflektieren auf das europäische Erbe lässt sich Gemeinschaft nicht herbeireden. Im Kampf dagegen (auch gegen den Hunger) entsteht sie von selbst.

Wie aller Macht sind auch der des Hegemonen Grenzen gesetzt. Von außen durch die Großmächte Russland, China, Indien; sie machen den USA nicht mehr, wie noch bis 1989, die Kontrolle über die weite Welt streitig, wohl aber über je eigene Einflusssphären. Allerdings sind diese, insbesondere für Russland, dramatisch geschrumpft; ganz Osteuropa ist zum Schutzpatron Nato übergelaufen, ja Russland selbst neigt, bedrängt von islamischem Terrorismus und der entfesselten Industriedynamik Chinas, de facto dem Nato-Gewaltkartell zu.

Und wenn dies eines Tages, als weltweites Sicherheitssystem, alle Mächte in sich aufgenommen hätte? Es würde dann auch seine äußeren Grenzen zu inneren machen. Schon jetzt zeigen sie sich im Widerstand der Nato-Partner gegen den Irak-Krieg. Je umfassender das Gewaltkartell, desto brisanter seine innere Einheit und desto größer die Zugeständnisse, die die Führungsmacht machen muss, um Einheit und Staffelung der Macht zu erhalten.

Die stärkste Begrenzung hegemonialer Macht kommt aus dem Innersten des Hegemonen selbst. Er verkörpert die älteste und populärste moderne Demokratie - ein Volk, das sich als sein eigener Herr fühlt, mehr als jedes europäische Volk sich dies träumen lässt. Es will seine Soldaten nicht auf fremden Schlachtfeldern verbluten sehen. Es will auf die Dauer die Aufmerksamkeit seiner Regierung nicht mit Burundi, Berlin oder Bagdad teilen. Wenn es auswärts zu tun hat - "some business to do", wie Kriegführen auf Amerikanisch heißt -, dann will es das im eigenen Interesse tun und nicht für Weltbeglückungspläne, wie sie seit je in Europa ausgeheckt werden. Wenn von seinen Kriegen für andere Völker etwas abfällt, Freiheit und Demokratie etwa: they are welcome, Amerikaner sind stolz darauf. Dass sie anderen aber den American Way of Life aufzwingen - lachhaft: Was die Leute aus freien Stücken haben wollen, braucht man ihnen nicht mit Gewalt zu bringen.

Und auch nicht mit Geld. Investieren möchte das amerikanische Volk lieber zu Hause: in Bildung, Gesundheit, Sicherheit. Verfehlt er diese Interessen, wird der Präsident, wie damals sein Vater, gehen müssen. Je weiter hegemoniale Macht ausholt, desto mehr stößt sie an finanzielle Grenzen. Schon deshalb braucht sie innere und äußere Zustimmung, also Legitimität. Denn jeder Widerstand erhöht die Risiken, die Dauer und die Kosten eines Krieges.

Auch der scheinbar weltweit agierende Hegemon kontrolliert nicht die Welt. In der Ferne macht er vor dem Einflussgebiet anderer Großmächte Halt. In der Nähe ist er mit der groben Keule seiner Vernichtungswaffen machtlos gegen Gewaltsticheleien und Terror am eigenen Körper, in Belfast, San Sebastián, New York. Seine hegemoniale Kontrollzone auf der Welt ist nicht mehr als eine Schneise mittlerer Reichweite.

Das ist den Meisterdenkern eines imaginären Globalinteresses, auf Kreuzfahrt in ihrem europäischen Traumschiff, zu wenig. Sie wollen Ordnung für alle. Sie wollen die Vereinigten Staaten klein und groß zugleich haben. Als Flugzeugträger können die USA ihnen nicht klein genug sein, als Träger einer Idee vom allgemeinen Weltwohl nicht weit reichend genug.

Aber dass der Hegemon Nation ist und nichts sonst - nicht Rat der Weltweisen, nicht non-governmental organization, nicht Weltstaat -, ist alles andere als beklagenswert. Es bietet die Chance, dass er in begrenztem Eigeninteresse handelt und nicht aus ungezügelt-universalem Idealismus - mögen in seinem Innern noch so viele Irrlichter und Fundamentalismen flackern. Er kann sich irren, wie in Vietnam. Aber nichts weist darauf hin, dass er die Vernunft sich selbst begrenzender nationaler Interessen jemals über Bord geworfen hätte. Sie ruht in der Erfahrung einer alten, gewachsenen, ungebrochenen, urdemokratischen und multikulturellen Nation. Entgegengesetzter könnten die deutschen Erfahrungen eines verspäteten, imperial pervertierten, gebrochenen Nationalismus nicht sein. Die Kluft zwischen den Erfahrungen lässt sich nicht füllen, außer mit Misstrauen.

Ist dies nicht rational? Eine Gewähr für immer währende Vernunft bietet die Verankerung der Hegemonie in der amerikanischen Demokratie ja nicht. So wie diese im Inneren durch checks and balances funktioniert, braucht sie Gegengewichte auch von außen. Dafür steht das schillernde Konzept der "Multipolarität". Sie kann vieles bedeuten: eine Realität, einen schönen Schein oder eine Eselei.

Real sind die kleinen und großen Pole, die sich aus Machtbeziehungen herauskristallisieren. In Beziehung zu ihren ehemaligen Kolonien bilden Frankreich und Belgien einen Machtpol; so ist es nur konsequent, dass unter ihrer Führung eine EU-Truppe in den Kongo zieht. Die Länder des Balkans lehnen sich an Deutschland an - und machen es unwillkürlich zu einem Machtpol eigener Art. Multipolarität ist so gesehen vorhanden.

Sie wird allerdings zum schönen Schein, wenn sie vergessen macht, dass sie als innere Machtstaffelung in ein größeres Hegemonialsystem eingebaut ist. Der Hegemon ist auf sie angewiesen und sie auf ihn. Frankreich, Großbritannien und Deutschland sind Unterworfene und Unterwerfer in einem. Sie sind Teil einer kollektiven Hegemonie. Denen draußen, im Süden und Osten, erklären sie, welche Grausamkeiten drohen, sollte man sich dem Hegemonen widersetzen. Umgekehrt erklären sie dem Hegemonen die Ängste und Widerstände der restlichen Welt. Aus deren Sicht bleiben die Europäer zugleich Unterteufel, sofern sie mit-strafen, und Halbgötter in Weiß, weil sie es mit Verständnis tun und Lazarettschiffe schicken. So finden sie ihre Funktion: als Vermittler zwischen Vormacht und Ohnmacht.

So stark ist das hegemoniale System bereits, dass es nach außen wie im Innern große Freiheiten lässt. Einen Feldzug des Hegemonen kann man mitmachen oder auch nicht. Auch ohne Parlament schafft sich das System eine Art außerparlamentarische Opposition: Gerhard Schröders Deutschland und das Frankreich Jacques Chiracs - mit Habermas, Derrida und Rorty in der Hinterhand - sind die Apo für George W. Bushs Amerika. Die 68er können das Arsenal alter Argumente verwenden: Gefährlichkeit und Gemeinheit Amerikas, Gefährdung der Demokratie und des Rechtsstaats. Alles nur Antiamerikanismen, heute wie gestern? Es ist vielmehr Opposition im eigenen, atlantischen Haus. Die Deutschen sind angekommen im Westen. Zu dumm, dass er sich nicht nur als offene Gesellschaft entpuppt, sondern auch als ehernes Gehäuse der Hegemonie.

Heraus können sie nicht mehr. Sollten sie trotzdem von einem europäischen Eigenheim träumen, blind dafür, dass es, abgetrennt, am Abgrund balancieren würde? Es ist zu befürchten, dass ihnen genau dies vorschwebt: Europa als ein Machtpol außerhalb der US-Hegemonie, der, im Verbund mit anderen Polen - Russland, China, Indien, Afrika? - Hegemonie aufheben soll. "Multipolarität" wäre nicht das erste Fortschrittsprojekt, das sich - siehe Sozialismus - als Rückschritt erweist. Wohl aber wäre es das törichteste und gefährlichste. Es würde zurückführen in neue Dimensionen von alten Gewaltkonkurrenzkämpfen, die wir hinter uns haben. Dank der US-Hegemonie. Möge uns diese Kröte ruhig im Hals stecken bleiben.

*******

Der Soziologe Hondrich, 65, lehrt in Frankfurt am Main. Zuletzt erschienen von ihm bei Suhrkamp die Bände "Wieder Krieg" sowie "Enthüllung und Entrüstung. Eine Phänomenologie des politischen Skandals".

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