in der bahnhofshalle in bruck/mur

mein zug hat eine halbe stunde verspätung, und so sitze ich in der bahnhofshalle auf einer bank und trinke eine flasche murauer. zu beobachten sind die typischen bahnhofsexistenzen an einem späten samstagnachmittag. zwei radler führen ein vertrauliches plauscherl mit dem einzigen schalterbeamten, offenbar kennen sie sich gut, zusätzliche komik entsteht durch das perfekte radleroutfit, das von overalls mit einem werbefake-aufdruck gekrönt ist: keine bekannte österreichische und internationale firma, deren markenlogo da fehlt. nur daß unsere radler dafür geblecht haben, so ein overall zu tragen. der feine unterschied einmal mehr: das geld. eine merkwürdiger typ in rotem muscleshirt dreht seine kreise, er betätigt jeden verfügbaren automat in der halle: lässt hier eine cola raus, dort einen kaugummi, tippt auf seinem handy rum, kauft schließlich irgendwas am kiosk, wo auch ich mein bier gekauft hatte. die frau erklärte mir, sie müsse mit pfand für die flasche verrechnen, und hatte ihr geantwortet: "tun sie's, wenn sie müssen. aber sie können mir vertrauen, ich bin hier in dieser halle, trinke das bier, und wenn die flasche leer ist, bring ich sie ihnen zurück." sie lächelte gequält und entschied sich fürs vertrauen. der merkwürdige typ verkrümelt sich aufs WC; gut so. ein paar jugoslawen (eher kroaten) sitzen neben mir auf den bänken und tun gar nicht. ein junger mann in ausnehmend häßlichen t-shirt - bunter druck, unharmonische farben, unharmonische formen - telefoniert laut schreiend mit seiner frau oder mutter; es geht um die verspätung des zuges nach wien süd, er versucht den sachverhalt zu erklären, wird offenbar unterbrochen, schreit dann nur noch "zu spät!" und "halb neun", womit er die wahrscheinliche ankunftszeit in wien meint. eine gruppe eisenbahnfahrwillige kommt jetzt rein, es scheint demnächst ein regionalzug zu halten den sie wohl nehmen wollen. alle drängen sich jetzt am schalter und reden gleichzeitig. keiner benutzt den ticketautomaten, den ich selbst vor einer viertelstunde benutzt hatte. ein mädchen mit rucksack lässt sich doch eine fahrkarte beim automaten raus, andere tun es ihr gleich. mittlerweile ist die halle richtig belebt. zwei ältere leute mit einer mongoliden jungen frau (ihre tochter?) studieren den anzeigemonitor für die zugabfahrten. die behinderte tochter schreit regelmässig "buh!" oder "muh!", so genau kann ich das nicht verstehen.
das einzige schöne an diesem bahnhof ist die bahnhofhallensuhr. es ist eine alte analoguhr, wie sie früher wohl auf allen österreichischen bahnhöfen zu finden war; (solche befanden sich auch auf den wiener bahnhöfen, und etwa auf dem bahnhof in feldkirch, wo ich die harten jahre bis achtzehn verbracht hatte.) das ziffernblatt, das nur aus einem kreis mit stundenstrichen besteht, ist von warmem jaspisrot.
faszinierend der durchlauf von menschen in einer bahnhofshalle auf dem land: das kommen und gehen, die menschen in ihrer individualität. die vermutlichen kroaten tun dasselbe wie ich: sie sehen dem treiben zu und kommentieren hin und wieder eine person oder ein geschehen. plötzlich stehen sie auf, wie auf eine abmachung hin (es war aber nichts zu hören gewesen) und gehen zur treppe, die in die unterführung zu den bahnsteigen abtaucht. holen sie jemanden ab? richtig, kurz darauf kommen sie mit einer jungen frau, die ein kind an der hand führt wieder die stiegen herauf. niemand hat seine bekannten so herzlich begrüßt wie die kroaten.
wenn ich meine blicke geschlechtsspezifisch fokussiere, konstatiere ich eine grundlegende überlegenheit der frauen. männer erscheinen fast alle wie witzfiguren oder karikaturen; die frauen sind alle authentisch. sie kümmern sich, tragen die verantwortung wie es scheint. gerade in einer ländlichen bevölkerung wie hier in diesem steirischen städtchen. in dem ich übrigens geboren wurde. was aber nicht der grund für mein hiersein ist. der sind die berge, namentlich der hochschwab, den ich heute mit mindestens hundert anderen bergsteigern bekrabbelte.
endlich verschwinde auch ich in der unterführung, nicht ohne vorher die leere flasche der frau am kiosk zurückgegeben zu haben ...

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