u-bahn geschichten

klingltöne und werbung: nervensache

die klingeltöne ihrer handys, mit denen sich so manche u-bahn-fahrerInnen verraten: songs, die vor allem bestimmten jahrgängen bekannt sind, so eben jetzt "my sharona" von "the knack", späte 70er. ich grinse in mich hinein und dreh mich um nach der telefoniererin, richtig, eine frau, und etwa um die 40. der klingelton ist heute wie ein kleidungsstück, ein akustisches kleidungsstück.

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jahrzehnte fast etwa wurde man in der wiener u-bahn werbungsmässig wenigstens in frieden gelassen. der schwerpunkt des "programmes" lag bei auffälligen personen, gemütskranken, drogensüchtigen, bettlern und sandlern (sofern sie wach waren). man konnte meistens weiterlesen, oder, bei extremer geruchsnervenbelastung, den wagen wechseln.
heute ist das anders: seit einigen jahren quälen uns sogenante infoscreens in den haltestellen auf den bahnsteigen, in manchen zügen auf der rückwand jedes 4er-bosb flatscreens mit dem werbeprogramm der infoscreens; ansonsten nur die üblichen plakatwandplatten gegenüber der bahnsteige.
seit diesem sommer aber begannen die wiener linien in bisher zwei großen u-bahn knotenpunkten (schwedenplatz und stephansplatz) die rolltreppenbereiche und durchgangsräume großflächig mit h&m - werbewänden zu verkleben: was bisher homogen weiß das auge zumindestnicht zusätzlich zur allgemeinen reizüberflutung ind er stadt quälte, ist jetzt werbefläche. und überlebensgroße kühlblickende androidenartige models zeigen uns, wie unglücklich sie in ihrem job und beim tragen der klamotten sind.
wir nehmen es unwidersprochen hin, ebenso wie die montage der lästigen "infoscreens" vor jahren. meine anfragen bei den wr. linien blieben unbeantwortet.

gestern in der u-bahn

michel houellebecq in der u-bahn sitzend, eine zeitung durchblätternd, es fehlt ihm nur die zigarette, in der typischen "blasierten" haltung zwischen mittel- und ringfinger. ihm gegenüber eine frau, artemis-stil, etwa 37, die ununterbrochen telefoniert und dabei die beine abwechselnd übereinanderschlägt, sich windet und die haare immer wieder zurückwirft. er kann seine konzentration nicht in der zeitung halten. immer wieder lecken seine gierigen blicke nach ihr, zielen auf ihre beine, hände, ins gesicht. manchmal sieht er sie direkt an und sucht blickkontakt, aber nur um schnell wegzusehen, wenn sie den blick erwidert.

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das mädchen, etwa 12 jahre alt, das in nicht nachvollziehbaren mustern hüft auf dem weg von der u6 station michelbeuern zum AKH-eingang, die brücke über den gürtel entlang. bis ich genauer hinsehe und das muster entdecke:
es sind die flecken der zahllosen ausgespuckten kaugummis auf dem bodenbelag, die in allen schattierungen zu unregelmässigen sprüngen verlocken: sie springt von fleck zu fleck.

mein haß heute

wie die menschen schlaff in den öffis hängen - ausgelaugt und leer, schon so manches kind, das nur vor sich hinstarrt, mit falten auf der stirn. da frage ich mich einmal mehr, wie ich es doch immer wieder schaffe, neugierig und verwundert in die runde zu äugen, ein buch in der hand einen satz im kopf, und in einem eckchen meines bewußtsein nicht einmal verwundert drüber bin, wissend, daß das nur eine von vielen wirklichkeiten ist. sie tun mir dann nicht einmal leid; gestern etwa, das schwer betrunkene proletenpaar (oder eine mutter mit sohn, nicht klar zu erkennen) im 26A. sich immer wieder gegenseitig über ihr fehlverhalten belehrend (mit tickendem finger), dann sich beschimpfend, die mutterfrau wendet sich immer wieder an ein verschämtes unfreiwilliges und auch imaginäres publikum, um stereotyp "entschuldigung. entschuldigen sie" zu wiederholen. man grinst vor sich hin, aber es tut einem doch weh, wenn man andere menschen so kaputt sieht, daß sie nicht mehr gehen und lallend und taumelnd nur mit hilfe von (widerwilligen) helfern den bus verlassen können. sie sind doch menschen, geschwister, und besonders empfindliche und gefühlvolle dazu.
in sehr großen intervallen macht sich aber auch mein haß bemerkbar: mein haß auf diese schlaffen idioten, die wir alle sind und die das alles verantworten, weil sie immer nur mit- und weitermachen, herdenaffen, mit zucker und spielen und tv ruhigzustellen und abzulenken, um bis zum ende willige vampiropfer zu bleiben. mein haß natürlich auf mich selbst, den ich gar nich detailliert ausarbeiten will, und mein haß auf die sogenannten demokratisch gewählten vertreter, die korrupten freunde auf der regierungsebene .. genug davon. ich brauche keinen großen auftritt, um ihm einmal kurz luft zu machen, mir fällt aber auf, daß es die erstaunt, die mich nur als unendlich geduldigen, immer freundlichen menschen kennen; ein paar scharfe worte, ein lauterer harscher ton: was ist denn da los? unangenehm, wo ich sonst angenehm bin, es mir selber ein anliegen ist angenehm zu sein, um meiner selbst und der anderen willen.
der haß verraucht sehr schnell, weil er nichtet (heidegger), wo er doch nichts ist, aus dem nichts kommt und sich über seine nichtigkeit unendlich ärgert. lächerlich. aber wo kann man schon hin mit seinem gefühlen --- ??

vor weihnachten

es ist wieder die zeit, in der die santa-puppen in selbstmörderischen posen an hauswänden und von balkonen hängen und viele der hier lebenden menschen versuchen, sich gegenseitig mit weihnachtskitsch nach US-art zu übertrumpfen: da gibt es konzentrische kreise und sterne in den fenstern, die auf den ersten blick von einer japanischen leuchtreklame nicht zu unterscheiden sind, blinkend und wuselnd; ganze rentiergespanne samt weihnachtsmann im vorgarten. zipfelbemützte jungmenschengruppen in der innenstadt und auf den adventmärkten: wie launig und fröhlich wir doch sind.
gestern war es spürbar kälter als heute, denke ich mir auf der fahrt zur arbeit, und hier, im 22., liegt ja doch ein wenig schnee: nicht auf den straßen, aber auf gehsteigen, fußwegen, gleiskörpern der tram, rasenflächen.
so manche(r) äußert seine hoffnung auf weiße weihnachten. ich sehe die geometrischen flächen, schneeweiß, die auf den großen straßenkreuzungen von den autoreifen unberührt geblieben sind. rauten, dreiecke, bruchstücke großer ellipsen, spitze und stumpfe winkel. dort könnte man stundenlang stehen, ohne niedergefahren zu werden. ein vogel könnte dort sitzen und den rasenden autos zusehen.
die tage flackern, lichtlos und grau, wiewohl man aus radio und tv weiß: oben auf den bergen scheint die sonne hinter einem wolkenfreien himmel. manchem geht der atem aus, im raschen wechsel von streß und ruhe verwirren sich die hormonhaushalte, die nebennierenrindenhormone sind in den rasch sich ändernden spiegeln meßbar, die spiegel flackern, wie unsere stimmung, und all das erschöpft uns mehr und mehr.
man trifft leute, und legt mehr herzlichkeit in seine worte als gewohnt: ein klammern an die illusion der vertrautheit: wir haben keine zeit für die liebe.
das leben ist kurz, es muß viel erledigt, termine müssen abgehakt werden. ich sage einen zahnarzttermin ab, um eine besprechung noch vor weihnachten stattfinden zu lassen, eine besprechung, an der ich nicht teilnehmen will, weil nichts dabei rauskommt, was ich vorher schon weiß. aber dennoch kommt sie mir gerade recht, wer verzichtet da nicht gerne auf den zahnarzt, wenn er, bekleidet mit pflichterfüllung, auch noch geld sparen kann.
neben mir die frau in der u-bahn: wir stehen im bummvollen waggon, die hände an schlaufen und stangen. erst sehe ich nur die hand, die sich festhält: farbloser lack auf kurzgeschnittenen fingernägeln; die finger, die hand macht einen zarten, aber energischen eindruck. schmales handgelenk, swatchuhrenarmband mit logo, eine unglaublich zarte, weiße haut über dem gelenk, so fein, daß man sie berühren möchte, mit den fingerkuppen drüberstreichen. ich drehe mich und sehe sie an. groß, schlank, mitte dreißig, vielleicht vierzig, braunrote locken, vielleicht gefärbt. glänzende braune augen einer farbmischung, die ich nicht so rasch identifizieren kann, sie strahlen lebendigkeit und energie aus, ungewöhnlich um acht in der u-bahn. ein ring am linken ringfinger, silber oder weißgold, gefasster stein, vielleicht quarz, vielleicht brillant. zwei sichtbare sorgenfalten auf der stirn. sie ist schön, weil sie lebendig ist. ich versuche mir ihr leben vorzustellen, wo sie hinfährt, ihre reisetasche lässt vermutungen und schlüsse zu.
ein freigewordener platz lädt mich zum sitzen, und ich schreibe diese worte, sie ist schon längst ausgestiegen, ich sah nur kurz eine cordhose und eine burgunderfarbene daunenjacke vorbeiwischen ...

verrückt

ver-rückte finden sich immer wieder in der u-bahn. gestern war es aber anders. junger mann, etwa 27 geschätzt, setzt sich in aufgeregtem zustand in den nachbar 4er, unverständliches murmelnd, aber der emotionale druck war sofort für den ganzen waggon spürbar.
hatte große glänzende augen, gesichtsfarbe leicht errötet, gestylt auf jugendlicher rebell mit verstrubbelten haar, das aber sorgfältig so auszusehen hatte. ihm gegenüber ein altes ehepaar, etwa 70 jahre alt. sie sahen gleichgültig vor sich hin, wie fast alle im waggon: es war 21.30h, die meisten müde, und das öffi-gefühl ist ja meist ausdruckslos und maskenstarr .. was den jüngling noch wütender machte. er versuchte eine rede zu halten, über persönlichkeit, daß es früher mal sowas gegeben habe, hier aber seien doch nur trotteln und arschlöcher. ich hatte den cd-player auf den ohren und hörte nur seine lauteren sätze. sah die venen an seinem hals und seiner stirne anschwellen und hervorstreten, und musste ob der komik der situation grinsen. was ihn noch weiter reizte. er schrie mich von der seite her an, ich hörte seine standard-worte "trottel" und "arschloch", und musste dummerweise fast laut lachen. er sprang auf, und ich dachte jetzt wird er handgreiflich, aber er schrie fast unter tränen: "glaubts ihr des macht mir spaß? was soll i denn machen? ihr bringts mich alle um, ihr arschlöcher. glaubts ihr das ist für mich lustig?"
beim nächsten stop stieg er aus, noch einmal dem ganzen waggon seine schimpfworte zurufend.

ich versuchte dann, mich in seine lage zu versetzen. wie aufgebracht muß er sein, um diese show zu liefern? aber was weiß ich von seinem leben, seiner herkunft, seiner familie und seinen freunden?
was bedeutet die steigende anzahl gemütskranker menschen, die sich der öffentlichkeit zeigen? die zu hause gebliebenen sind noch gar nicht dabei.

die lautsprecher

in der u-bahn: "umsteigen zu den linien U1, U2, blablabla 13A, 14A, blablabla. " überlaut, voll in mein ohr, seit jahren schon. und nicht nur die nervenbelastung, es ist die absolute sinnlosigkeit: einheimische oder anrainer wissen schon, wo sie sind und umsteigen müssen, und fremde, gar nicht deutsch-sprechende verstehen kein wort, und sind nur verwirrt. ich habe öfters deutsche touristen in der u-bahn beobachtet, wie sie auf diese ansagen reagierten. kopfschütteln. aber sie wissen ja daß sie in österreich sind. die wundert nix mehr.
mich wunderts noch immer.

rudolph

ein fahrgast im bus, direkt vor mir sitzend, hatte pomade im haar, das kurz geschitten war.
merkwürdig: der rand seiner ohrmuscheln war röter als die übrige haut und glänzte. ich dachte an rudolph ...

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